Eine fantastische Schule
Etwa fünfzehn Sprösslinge
(mehr dürfen es nach
Möglichkeit nicht sein) laufen barfuss
(die Schuhe haben sie bereits beim Eintreten ausgezogen)
in einem großen Raum herum, und jeder tut, was ihm einfällt.
Tische und Stühle gibt es schon,
die Kinder jedoch mögen diese Dinge
nicht und haben sie
beiseite geschoben. Alles findet auf dem Boden statt.
Die Eine liegt auf dem Bauch
und malt etwas, was den Farben nach zu
beurteilen, ein
atemberaubendes Abenteuer im hohen eisigen Norden sein soll.
Die Andere sitzt auf dem Boden,
hat ein Xylophon vor sich gestellt und
hämmert darauf
eine eigene Komposition, deren melodische Qualitäten
nur sie in der Lage ist zu schätzen.
Der Dritte sitzt im Schneidersitz, wie ein Fakir
und fädelt an einer Schnur einige
farbige Perlen auf.
Er zieht die Stirn kraus und ist sehr konzentriert, denn
die Reihenfolge der Farben birgt einen Geheimcode
höchster Bedeutsamkeit.
Nebenan arbeiten zusammen drei Andere auf den Knien.
Sie bauen aus Holzblöcken etwas so
eigenartiges und
extravagantes, das eigentlich nur eine Raumstation
werden kann.
Es sind "abgekartete Spiele", von Spezialisten
entworfen.
Das eine spornt die Phantasie an, das
andere die
Auffassungsgabe oder die Geschicklichkeit, das
dritte die Gemeinsamkeit, weil es nur unter der
Mitwirkung von mehreren vorankommen kann, das
vierte birgt so große Anforderungen an logisches
und kreatives Denken, dass auch ein Erwachsener
nur schwer damit fertig werden kann.
Die Kinder holen das Spiel,
mit dem sie gerade Lust haben zu spielen,
sie spielen damit,
bis sie es überdrüssig sind (und ihr wisst ja schon, wie schnell
die Kinder sich langweilen), dann bringen sie es an seinen Platz
zurück und nehmen ein anderes.
Wenn ein Kind sehr müde wird,
was sehr selten vorkommt, legt es sich
am Boden auf den Rücken
und schaut an die Decke, bis es zu Kräften kommt, um dann mit
dem Spiel weiter zu machen.
‒
Gibt es denn
keinen Lehrer, keine Lehrerin, um sie zurechtzuweisen?
Es gibt eine Lehrerin,
aber sie sitzt in einer Ecke, sie
schreibt oder liest
und scheint sich nicht mit ihnen zu beschäftigen.
Nach ihrem Diplom in Pädagogik
an der Universität hat sie
Spezialstudien absolviert
und kennt sich aus, wie sie sich zu verhalten hat,
damit die Kleinen es nicht spitz kriegen, dass sie
beobachtet oder geleitet werden.
Hauptziel ist,
das Kind sich selbst erkennen zu lassen,
von alleine
seine Fähigkeiten ausfindig zu machen, und sie mit
seiner freien Entscheidung zur Geltung bringen zu wollen.
Dieses Ziel ist nicht zu erreichen,
wenn die Lehrerin ständig über
dem Kopf des Kindes steht
und dauernd "tu das und lasse jenes" sagt.
In der Klasse (die allerdings nur
der liebe Gott zur Klasse machen
könnte) sind noch
drei vier andere junge Damen, Lehrerinnen in Ausbildung,
Assistentinnen. Sie haben ebenfalls bereits das
Pädagogikstudium der Universität absolviert und parallel
zu ihrer Spezialausbildung machen sie ihre praktische
Übung in der Schule. So kommen auf jede Lehrkraft
drei vier Sprösslinge.
Wenn diese Kleine
sich nicht entschließen kann
welches Spiel sie
aussuchen soll, kommt die Lehrerin oder die
Assistentin "ihr zu helfen ein Spiel gemeinsam
auszusuchen".
Und siehe da,
wie der Zufall es so will, das Spiel,
was sie
"gemeinsam gefunden haben", gerade das
ist es, was die Entscheidungsfähigkeit stärkt.
Und wenn dieser Andere,
der im Nu mit der linken Hand die Spiele
zu Ende
bringt, für die die anderen Stunden brauchen, sich
nun zu langweilen beginnt und die übrigen stört,
dann kommt die Lehrerin, ihm zu helfen "aus dem
oberen Regal ein Spiel herunterzuholen".
Nun ist
"zufällig" dieses Spiel von der Sorte,
bei der auch ein Erwachsener auf die Nase fallen kann,
und der Unruhestifter wird nun alle seine Kräfte
brauchen, um mit dem Spiel fertig zu werden.