Der freie Wille

In der Reihe unserer Überlegungen

sind wir an dem Punkt angelangt, die geistige
Aktivität des Menschen zu betrachten.

Hier haben wir ein neues Element, das wir

vielleicht besonders beachten müssen.

Nicht etwa, weil es eine besondere Bedeutung

für den Kosmos hat, sondern weil es von
einer großen Wichtigkeit für uns ist.

Über die Funktion unseres Gehirns

wissen wir noch zu wenig.

Wir wissen noch nicht,
welcher der Mechanismus einer Gedankenbildung ist,
wie ein Einfall entsteht,
wie eine Entscheidung getroffen wird.

Da wir jedoch die Einmischung außernatürlicher Kräfte

nicht in Betracht ziehen wollen, müssen wir annehmen,
dass es sich um einige biologische Prozesse in den
Gehirnzellen handelt, die letztlich auf einfache
physikalischchemische Phänomene zurückzuführen sind.

Phänomene welche den gleichen Gesetzen

wie der Rest des Kosmos gehorchen.

Im Fall unseres Malers haben wir eine

ganze Reihe von Ereignissen, deren
Mechanismus wir nicht kennen.

·                   Er betrachtet kritisch das Bild.

·                   Er bringt die linke Hand auf den Bart.

·                   Er macht zwei Schritte zurück.

·                   Er Versucht heraus zu finden, was noch im Bild fehlt.

·                   Er hat den Einfall noch ein Bootchen auf das Bild zu malen.

·                   Er zweifelt welche Farbe er nehmen soll.

·                   Er entscheidet sich für Rot.

Textfeld: Wir sind noch nicht in der Lage den Mechanismus des kritischen Überlegens, des Zweifelns, der Entscheidung zu beschreiben.

Wir können noch nicht im Detail sagen,

welche Zellen im Gehirn unseres Malers
unter welchen inneren Molekularprozessen
und unter welchen Wechselwirkungen
miteinander zu der Entscheidung geführt
haben, das Boot rot zu malen.

Sicherlich war diese Entscheidung nicht unabhängig

von Elementen, die sein Hirn beeinflussten:

·                   Seine Erfahrung aus Bildern der Natur oder anderen Malern.

·                   Die Farben, die er schon auf dem Bild verwendet hat und sein
Gefühl über das richtige Gleichgewicht der Farben in der Malerei.

·                   Das Licht, die Temperatur und die relative Feuchtigkeit im Atelier.

·                   Sein seelischer Zustand.

·                   Die gute Funktion seiner Leber in diesem Moment.

Eine komplexe Reihe gesetzmäßiger

Folgen, die ihn führte.

Eine Reihe von Zwängen, die er höchstwahrscheinlich

gar nicht wahrnehmen konnte, in dem Zeitpunkt
als er seine Entscheidung traf. 

Textfeld: War aber die Entscheidung hundertprozentig schon vorweggenommen, bloß unser Maler wusste es nicht? 
War die Entscheidung vom Naturgesetz schon am Zeitpunkt der Grossen Explosion getroffen worden?

Falls unsere Annahme über die absolute

Genauigkeit in der Bestimmung des Naturgesetzes
zutrifft, dann ist das genau der Fall.

Nur, dass der Maler es nicht weißt.

Er glaubt, frei gedacht zu haben,

dass er ein Bootchen auf das schon fertige
Bild hinzu malen soll, und dass er mit Recht
einige Zeit verwendete, um zu entscheiden,
ob das Boot rot oder gelb sein sollte.

Er weißt nicht, dass genauso wie für jedes Ereignis

im Kosmos die Entscheidung darüber, ob das
Bootchen gelb oder rot sei, schon lange gefallen ist.

Sie wurde getroffen am Moment der Grossen Explosion.

Damals wurde in jedem Detail die Reihe der

aufeinander folgenden Ereignisse (genauer, die lange
Kette der Kollisionen) festgelegt, die zu dem geführt
hat, was er als Entscheidung seines freien Willens
über die Farbe des Bootchens erachtet.

Genauso wie damals bestimmt wurde,

dass derjenige, der diese Zeilen schrieb,
das Beispiel des Malers benutzen sollte, um
das Problem des freien Willens anzuschneiden.

Der Arme! Er glaubte, eine freie Wahl getroffen zu haben,

als er sich entschied, als Beispiel für den freien Willen
die künstlerische Schöpfung zu verwenden. 

Es scheint wir sind in einem
sehr bösen Gedankenknäuel verstrickt.

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